"Mit bewegten Herzen allein kommen wir nicht weiter"

Die aktuelle Flüchtlingssituation war Thema einer Diskussionsveranstaltung der Europa-Union Schleswig-Holstein. Gemeinsam mit der IHK und dem Europaministerium hatte der Verband unterschiedliche Akteure eingeladen, die Chancen und Herausforderungen der Integration von Geflüchteten in Schleswig-Holstein zu diskutieren.

Das Podium der Diskussionsveranstaltung in der IHK. Foto: EUSH.

Europa könne die aktuelle Situation nur gemeinsam meistern, betonte Anke Spoorendonk, Ministerin für Justiz, Kultur und Europa.  Diese Einsicht aber habe sich leider noch nicht durchgesetzt. Angesichts der steigenden Asylbewerberzahlen drohe Europa vielmehr seine eigenen Werte zu verraten, so Uwe Döring. Der Landesvorsitzende der Europa-Union verurteilte die "organisierte Unverantwortlichkeit" der europäischen Staaten im Umgang mit Geflüchteten" scharf. Statt nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, schöben sie die Menschen und die Sorge um sie untereinander hin und her.

AlAyham Mahfoud berichtete von seinem Weg nach Deutschland. Der 21jährige floh vor zwei Jahren aus Syrien in die Arabischen Emirate, von wo er nach Italien und Schweden weiterreiste und letztlich in Neumünster Asyl beantragte. Die Menschen in Deutschland seien ihm bisher sehr offen und freundlich begegnet, so der junge Syrer im Gespräch mit Moderatorin Sabine Vesper. Nach anderthalb Jahren in Schleswig-Holstein spricht er bereits fließend Deutsch. Die Sprache sei seine große Chance, so AlAyham. Sein größter Wunsch sei es, sein Studium der Zahnmedizin in Deutschland fortzusetzen. Das aber sei derzeit nicht möglich.

Die aktuelle Asyldebatte und der seit langem diskutierte Fachkräftemangel gehörten zusammen, so Hans Joachim Beckers von der IHK. Viele der Geflüchteten seien gut ausgebildet  - ihre schnelle Integration auf den europäischen Arbeitsmarkt sei für beide Seiten eine Bereicherung. Von Seiten der Flüchtlinge und der Unternehmer sei eine große Bereitschaft vorhanden, aufeinander zuzugehen, so Beckers. Die IHK mit ihrer großen Expertise und Kontakten biete sich hier als Netzwerker an. Er forderte allerdings von der Politik verlässliche Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit: nur, wenn ein Unternehmen sicher sein könne, dass ein Geflüchteter nicht während oder direkt nach der Ausbildung von Abschiebung bedroht sei, lohne sich die Investition für die Firma.

Ingbert Liebing, Bundestagsabgeordneter der CDU, teilte diese Auffassung. Er forderte in Bezug auf Geflüchtete einen flexibleren Umgang mit den strikten Regeln des deutschen Arbeitsrechtes. Diese machten andernfalls die Beschäftigung Geflüchteter für die Unternehmen unattraktiv, warnte Liebing.  Viele Geflüchtete müssten zum Beispiel neben ihrer Ausbildung noch einen Sprachkurs auf Kosten des Unternehmens absolvieren. Da könne es innerhalb der Belegschaft zu Unmut führen, wenn ein Geflüchteter den gleichen Tariflohn erhalte wie die einheimischen Beschäftigten.

Dieser Auffassung widersprach Anke Spoorendonk, Ministerin für Justiz, Kultur und Europa mit deutlichen Worten. Eine Aufweichung der Standards komme für Sie nicht in Frage, so die Ministerin. Ausnahmen vom Mindestlohn für Geflüchtete seien auch deutschen Arbeitssuchenden schwer zu vermitteln. Die Europaministerin bedankte sich bei den zahlreichen Ehrenamtlichen für ihr Engagement und ihren Einsatz für Geflüchtete. Sie betonte aber auch: "mit bewegten Herzen allein kommen wir nicht weiter. Denn die eigentliche Herausforderung fängt mit der sicheren Unterbringung erst an!"

Nele Brüser skizzierte die derzeit herrschenden Zustände in der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster: diese blieben weit hinter den idealen Vorstellungen zurück, da die  Einrichtung teilweise mehr als doppelt überbelegt sei. Derzeit gehe es in der täglichen Arbeit daher hauptsächlich um Grundversorgung der Geflüchteten. Weitergehende Integrationsmaßnahmen seien angesichts der großen Asylbewerberzahlen zur Zeit kaum zu bewältigen.

Ingbert Liebing forderte, Geflüchtete aus sicheren Herkunftsländern schneller und konsequenter abzuschieben. Nur so könne Geflüchteten mit realistischer Bleibeperspektive geholfen werden: "Wir können nicht allen helfen!", so Liebing. Vor diesem Hintergrund müssten auch weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, aus denen heute ein großer Anteil der Asylbewerber in die EU komme.

Anke Spoorendonk forderte ein Zuwanderungsgesetz. Es gebe gute Gründe für wirtschaftlich motivierte Migration. Auch Europa könne von diesen Menschen profitieren. Derartige Migration sollte aber getrennt vom Asyl politisch Verfolgter behandelt werden. Nur so könnten die Strukturen entlastet und eine rasche und angemessene Behandlung aller Anträge gewährleistet werden.