Modellregion oder Ostseeromantik?

Für Schleswig-Holstein hat der Ostseeraum – heute wie in der Vergangenheit – eine große wirtschaftliche Bedeutung. Unser Land ist die nordeuropäische Drehscheibe und wird vom Ausbau der Verkehrs- und Energienetze genauso profitieren wie von der Verbesserung der Schifffahrt und der Bekämpfung der Kriminalität. Gründe genug also, sich einmal in einer Veranstaltung mit dem "europäischen Mare Nostrum" auseinanderzusetzen – zumal Deutschland im Juli 2011 den Vorsitz im Ostseerat übernommen hat.

Mit dem EU-Beitritt von Polen und den baltischen Staaten 2004 ist die Ostsee benahe vollständig zum EU-Binnenmeer geworden. Die Ostseeregion spielt daher eine besondere Rolle beim Zusammenwachsen Europas. Der Ostseeraum hat in den letzten 20 Jahren einen weit reichenden Wandel durchgemacht. Die Transportschifffahrt nach Osteuropa boomt, gleichzeitig nehmen der Tourismus und damit die Anforderungen an eine nachhaltige Nutzung der Ostsee zu.

In seinem Vortrag machte Haitze Siemers von der GD Mare der EU-Kommission deutlich: Durch die Umsetzung der EU-Ostseestrategie sollen die rund 100 Millionen Menschen, die im Ostseeraum leben, näher zusammenrücken und ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele miteinander abstimmen. So könne die Ostsee zur europäischen Modellregion werden.

Denn der Ostseeraum bietet enormes wirtschaftliches Potential, wie Uwe Döring in seinem Vortrag zu den Chancen der Ostseekooperation darstellte: Fast ein Drittel des innereuropäischen Handels vollzieht sich über die Ostsee. Vor allem Deutschland nimmt im Ostseehandel eine herausragende Stellung ein. Aber die Bedeutung des Ostseeraums beschränkt sich nicht auf den Warenaustausch. Auch die Mobilität von Arbeitnehmern, die Kooperation in Energie- und Umweltfragen und der Transfer von Wissen spielen wichtige Rollen. Wenn die Ostseeanrainerstaaten die vor ihnen liegenden Herausforderungen, wie etwa den  dringend benötigten Ausbau der Infrastruktur, bewältigten, könne die Region ein "Wirtschaftsmotor der EU" werden, so Döring.

In seinem anschließenden Vortrag bremste Dr. Claus-Friedrich Laaser vom Institut für Weltwirtschaft die Ostseeeuphorie ein wenig. Zwar sei der Ostseeraum in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus bedeutend. Er werde jedoch auch überschätzt: Hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
gehörten nur rund 8 Prozent Deutschlands zum Ostseeraum – mit gerade einmal 5,5 Prozent der gesamten deutschen Exporte. Für die anderen Ostseeanrainerstaaten gelte ähnliches. Er wolle die Kooperation im Ostseeraum aber keinesfalls "miesmachen" betonte Laaser. Er betonte, die Ostseestaaten müssten zunehmend enger zusammenarbeiten, um im härter werdenden globalen Wettbewerb bestehen zu können. 

In einem aber waren sich die Experten einig: Nur eine integrierte Meerespolitik eröffnet die große Chance, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der maritimen Wirtschaft im Ostseeraum, den Schutz der Meeresumwelt und die Interessen derjenigen, die an den Küsten arbeiten und wohnen, zu verbinden.